Julia Kölbl
„Wer sich nicht bewegt, spürt [ihre] Fesseln nicht.“ Übersetzerinnen als Aktivistinnen in Deutschland und Österreich (1848–1918)
Abstract
Das Dissertationsprojekt nimmt (derzeit 48) Frauen in den Blick, die zwischen 1848 und 1918 in Deutschland und der österreichischen Reichshälfte der Habsburgermonarchie einschlägig als Übersetzerinnen ins Deutsche tätig und in diesem Zusammenhang auch aktivistisch engagiert waren. Ziel ist es, die unterschiedlichen Funktionen von Übersetzungen im Kontext des frauenpolitischen Engagements des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts herauszuarbeiten und durch Beleuchtung des Phänomens „Übersetzen“ eine differenziertere Sicht auf „weibliches“ politisches Handeln zu gewinnen – insbesondere im Kontext der „bürgerlich-radikalen“ und sozialdemokratischen Frauenbewegungsaktivitäten jener Zeit.
Quellengrundlage bilden (auto‑)biografisches Datenmaterial, Egodokumente und ein Textkorpus, das aktuell 95 deutschsprachige Übersetzungen von politischen Schriften und Zeitungsartikeln sowie gesellschaftskritischen Romanen aus neun europäischen Ausgangssprachen umfasst. Theoretischen Bezugsrahmen stellen feministische Konzeptionen von Öffentlichkeit (v. a. Wischermann 2003) und Politik (Appelt 1994; Sauer 2001) dar, die erlauben, politisches Handeln auch abseits staatlicher Institutionen – wie Parlamente, Parteien oder politische Vereinigungen – zu verorten.
Vor diesem Hintergrund wird unter Bezugnahme auf Pierre Bourdieu (1997, 2001) zunächst ein Übersetzungsfeld rekonstruiert, und es werden die das Feld strukturierenden und konditionierenden Prinzipien erarbeitet. In Verbindung mit einer qualitativen Inhaltsanalyse (Kukartz 2018) und kritischen Diskursanalyse (Wodak 2001) von paratextuellem Material (z.B. Briefkorrespondenzen, Übersetzungsrezensionen sowie etwaige textuelle Interventionen in den übersetzten Texten; vgl. Genette 1997) sollen so detaillierter Aufschluss über die Funktionen von Übersetzungen im Kontext des frauenpolitischen Engagements des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts gewonnen und die Voraussetzungen, Formen und Konsequenzen der Mitwirkung von „aktivistischen“ Übersetzerinnen an den politischen Öffentlichkeiten und Diskursen ihrer Zeit nachvollziehbar gemacht werden.